Diese Frage ist gar nicht so abwegig angesichts des viel zu milden Dezembers, grüner Weihnacht und Januartagen mit fast frühlingshaften Plusgraden. Die Natur spielt aber noch nicht total verrückt. Auch wenn die Temperaturen aus der Reihe tanzen, lassen sich Pflanzen und Tiere im AK-Land nur begrenzt auf das Spiel ein. Schließlich ist die winterliche Jahreszeit noch lange nicht vorbei. Eine Bauernregel zum heutigen 10. Januar besagt jedenfalls: Ist der Paulustag gelinde, gibt's im Frühjahr raue Winde.
Auf den Äckern in der Region hat das milde Wetter nicht zu einem ungewöhnlichen Wachstumsschub gesorgt. Wintergetreide und Raps – beides wurde bereits im vergangenen Jahr eingesät – haben sich nach Auskunft von Georg Groß, Kreisvorsitzender des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau, gut entwickelt und könnten einen Wintereinbruch mit Schnee und Eis gut überstehen. Schädlich könnte sich allenfalls ein Kahlfrost auswirken, wenn keine Schneedecke die jungen Pflänzchen vor eisigen Minusgraden schützt. „Normalerweise ist der Februar der Schneemonat", sagt Groß. „Aber keiner weiß, was kommen wird", blickt er eher gelassen auf die Wetterlage. Als Landwirt könne man ohnehin erst an Allerheiligen sagen, wie das Jahr war. Dass er in seinem Beruf mehr als viele andere dem Wettergeschehen ausgeliefert ist, nimmt er als Selbstverständlichkeit hin. „Wenn ich mich entschließe, diesen Beruf zu ergreifen, muss ich mich der Natur und dem Wetter stellen."Mehr Kopfzerbrechen als die Witterung bereiteten ihm eher die ständig neuen Verordnungen, die Buchführung und Dokumentationen, die von den landwirtschaftlichen Betrieben verlangt werden.
Wer in diesen Tagen eine Biene summen hört, muss sich nicht verwundert die Augen reiben. Bei Temperaturen von 10 bis 12 Grad sei es durchaus möglich, dass einzelne Bienen den Stock für einen Rundflug verlassen, erläutert Walter Schmal, Vorsitzender des Kreisimkerverbands Altenkirchen. „Bienen halten keinen Winterschlaf", erklärt der Imker. Egal, wie das Wetter draußen ist, sind die Insekten auch im Winter wach und erhalten die Temperatur im Stock aufrecht, indem sich das ganze Volk zu einer sogenannten Wintertraube zusammenballt, deren Kerntemperatur auf kuscheligen 25 Grad gehalten wird. In milden Wintern sei es nicht ungewöhnlich, dass die Bienen im Stock schon kurz nach Weihnachten mit einem Brutfeld beginnen. Wenn dann – wie in diesen Tagen vereinzelt zu beobachten – die Haselblüte einsetzt und somit die erste Pollennahrung verfügbar ist, würde das Brutgeschäft der Bienen stärker in Gang kommen, was wiederum riskant werden könnte, falls dann doch noch frostige Tage kommen. „Dann geht die Brut kaputt, und das Volk wird geschwächt", sagt Schmal. Besser wäre es für die Bienen, wenn bis Mitte/Ende Februar um die null Grad sind. Dann kommen sie gar nicht erst in Versuchung, den Stock zu verlassen, und können im Frühlingsmonat März so richtig mit ihrem Brutgeschäft loslegen.
Die Pflanzenwelt in der Region zeigt nach Beobachtung von Gärtnermeister Harald Schürg aus Wissen deutliche Reaktionen auf die milden Wintermonate. „Die Knospen schwellen, das Gras ist grün, und die Zwiebelgewächse treiben. Die Kätzchen von Haselnuss und Weide sind schon relativ weit", stellt er fest. „Die Knospenbildung ist 14 Tage vorgezogen." Für Gewächse wie die Zierkirsche, die schon Blüten angesetzt haben, könne das bei einem Frosteinbruch fatal werden, denn dann würden die Blüten erfrieren. Frostschäden wären bei einem Kälteeinbruch auch bei Obstgehölzen zu befürchten, die bei frühlingshaftem Wetter schon beginnen, zu treiben und Wasser zu ziehen. „Bei Frost kann dann die Rinde aufplatzen", erklärt Schürg. Die Gärtner können das Wetter allerdings recht gut nutzen. Sie können Pflanzen umsetzen oder Bäume beschneiden. Aber Schürg rechnet doch noch damit, dass der Winter, wenn auch verspätet, Einzug hält: „Die kalte Welle wird noch kommen."
In den Wäldern rund um Altenkirchen ist noch Winterruhe angesagt, sagt Franz Kick, Leiter des Altenkirchener Forstamts. Dafür hat die milde Witterung dort andere Auswirkungen. „Unser Hauptproblem sind die aufgeweichten Böden und Wege", sagt Kick. Das erschwere das Holzrücken und den Abtransport des Holzes. Die Vogelwelt in der Region scheint mit den Plusgraden gut zurechtzukommen. Diese Vermutung lässt laut Jonas Krause-Heiber, Leiter der Nabu-Regionalstelle Westerwald, das vorläufige Ergebnis der Zählaktion „Stunde der Wintervögel" zu. Danach wurden bis jetzt bis zu 10 Prozent weniger Vögel gezählt als im Vorjahr. Allerdings haben sich nach dem aktuellen Zwischenstand erst rund 45 000 Personen (2013: 93 000) an der Vogelzählung beteiligt, und Meldungen können noch bis Dienstag, 14. Januar, im Internet unter www.nabu.de abgegeben werden.
Der milde Winter könnte eine Erklärung dafür sein, dass die Beobachter in diesem Jahr bisher weniger Vögel gezählt haben als 2013. Das muss nämlich nicht heißen, dass es weniger Vögel gibt. „Die Temperaturen sind so mild, dass die Vögel in der Natur noch genug Nahrung finden und nicht in die Gärten an die Futterhäuschen kommen", zieht Krause-Heiber in Betracht. Die Kohlmeisen lassen sogar schon den typischen Gesang hören, mit dem sie ihr Revier behaupten. Das muss allerdings nichts heißen. Wenn das Wetter doch noch frostig wird, legen die Meisen ihr Revierverhalten auf Eis und verlegen sich wieder verstärkt aufs Fressen, um den Winter zu überleben. Krause-Heiber: „Jedes Gramm Fett oder Energie zählt." Ulrike Fritscher