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Fußball-Bundesliga: Sogar der Kaiser tanzte nach seiner Pfeife

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Von unserem Redakteur Daniel Weber

Die Wimpel der großen Fußballklubs hat Norbert Fuchs schon vor geraumer Zeit in den Schrank verbannt. An der Wohnzimmerwand im Herdorfer Glockenfeld hängen heute Fotos seiner Kinder und Enkel. Er, der im September 78 wird, hat im Laufe der Jahre mehr und mehr den Wert einer Familie kennengelernt. "Ich habe mich lange genug auf Sportplätzen rumgetrieben", sagt er - und da ist es wieder, das verschmitzte Lächeln, mit dem der einstige Schiedsrichter früher manchen Zwist entschärft hat. Er, der schlaue Fuchs.

Norbert Fuchs ist der einzige Schiedsrichter aus dem Kreis Altenkirchen in der ersten Fußball-Bundesliga. Von 1969 bis 1973 brachte er es auf 20 Einsätze, bevor ein Unfall seiner vielversprechenden Karriere ein jähes Ende bereitete. Auch auf internationaler Bühne durfte er ran, war unter anderem 1971 Linienrichter beim Viertelfinalspiel im Europapokal der Pokalsieger Manchester City gegen Gornik Zabrze. Andere Auslandsreisen führten ihn nach Budapest, nach Amsterdam zur legendären Ajax-Mannschaft um Johan Cruyff, nach Jugoslawien, Dänemark und Luxemburg. Dort war er zu Hause, in der großen, weiten Fußballwelt.

Die Frau fürs Leben steht am Platz

Auf dem Küchentisch liegen Schwarz-Weiß-Fotos und alte Zeitungsausschnitte: hier bei der Seitenwahl mit Franz Beckenbauer, da im Gespräch mit Bundestrainer Helmut Schön - für Norbert Fuchs sind das heute nicht mehr als schöne Erinnerungen. Den Top-Schiri hat er nie nach außen gekehrt, ist stets bescheiden geblieben und war auch deshalb später noch bei Spielen in der Westerwälder und Siegerländer Heimat gern gesehener Gast. "Ich bin immer einer der ihren geblieben", sagt Fuchs und meint damit die Netzers und Beckenbauers der Bolzwiesen und Aschenplätze. Seine Frau Valeria hat mal zu ihm gesagt: "Wenn du in Hamburg gepfiffen hast, warst du früher wieder daheim, als wenn du in Hommelsberg warst."

Auch das für ihn persönlich wohl wichtigste Spiel seiner Karriere leitete Fuchs nicht in Berlin, Hamburg oder München, sondern in Rosenheim, das damals noch Kotzenroth hieß. Kotzenroth gegen Daaden, es ist der 17. Oktober 1954. "An diesem Tag habe ich meine Frau kennengelernt", erzählt Fuchs. Sie stand als Zuschauerin am Platz, ihre Brüder waren der Vorsitzende und der Kassierer der Heimmannschaft. "Ich habe mich nach ihr erkundigt und bin mit ihnen nach Hause zum Abendessen gegangen." Später wird sie ihm ein Foto schenken und ihm sagen, dass er wiederkommen darf. 1958 heiratet das Paar in Herdorf - ein großes Fest. Vor drei Jahren ist seine geliebte Valeria gestorben, nach 56 gemeinsamen Jahren, und man merkt: Er hängt sehr an ihr. "Ohne sie und ihre Geduld", sagt er, "wäre meine Schiedsrichterkarriere gar nicht möglich gewesen. Ich war ja meist von freitagabends bis sonntags weg."

Zunächst aber jagt er selbst dem runden Leder hinterher - bis zu jenem schicksalhaften A-Jugend-Spiel in Niederfischbach 1953: Die Sportfreunde Herdorf verlieren mit 1:3, und Fuchs wird vom Unparteiischen des Feldes verwiesen. "Da habe ich zu mir gesagt: Ab heute stellst du vom Platz", lacht er. Sein erstes Spiel pfeift er im Januar 1954 als 19-Jähriger: Weitefeld gegen Elkenroth, gleich ein heißes Derby und das im Tiefschnee. Von nun an geht es rasend schnell: Nach ersten Spitzenspielen auf Kreisebene darf Fuchs 1956 in der Bezirksliga ran, 1957 in der Rheinlandliga, 1958 in der Amateur-Oberliga Westfalen und wiederum ein Jahr später in der Regionalliga, damals noch die zweithöchste deutsche Spielklasse.

Abenteuer im Kalten Krieg

1967 dann der endgültige Durchbruch: Als Assistent von Schiedsrichter Alfred Ott (Rheinbrohl) steht er in der Bundesliga fortan an der Seitenlinie und erhält auch einen ersten internationalen Einsatz - beim Erstrundenspiel des Messepokals (Vorläufer des UEFA-Cups und der heutigen Europa League) Partizan Belgrad gegen Lokomotive Plovdiv. Fuchs erinnert sich: "Wir wurden vom ersten Bundesrichter Jugoslawiens abgeholt und bekamen zwei Betreuer zugewiesen. Das war in den osteuropäischen Ländern damals üblich, weil keiner dem anderen traute." Ein weiteres Erlebnis im Kalten Krieg: Im Oktober 1969 soll Fuchs als Linienrichter mit zwei deutschen Kollegen zum WM-Qualifikationsspiel Ungarn gegen Dänemark nach Budapest reisen. "Unsere Flüge wurden kurzfristig storniert, also fuhren wir mit der Bahn. Weil unsere Einreisegenehmigung aber nur am Flughafen hinterlegt war, wollte man uns nicht über die Grenze lassen. Wir haben erklärt, dass wir am Abend das Spiel der ungarischen Nationalelf pfeifen sollen - erst nach gut zwei Stunden war die Sache geklärt, und der Zug konnte weiterfahren."

Das erste Bundesligaspiel leitet Fuchs am 6. September 1969: Alemannia Aachen gegen VfB Stuttgart (4:2). Die grüne Benachrichtigungspostkarte des DFB hat er noch heute. Adressiert ist sie an "Herrn Norbert Fuchs in Neunkirchen/Sieg", denn seit 1962 hatte das Ehepaar Fuchs dort an der Kölner Straße ein Haus mit Fachgeschäft für Schirme, Spazierstöcke und Stahlwaren. "Es durfte nicht Neunkirchen im Siegerland heißen, sonst hätte ich keine Vereine aus dem westdeutschen Verband, also Köln, Schalke oder Dortmund, pfeifen dürfen. So fiel für mich in der Bundesliga lediglich Kaiserslautern weg", erklärt Fuchs die geografische Schummelei, die freilich nur eine kleine war, schließlich gehörte er nach wie vor den Sportfreunden Herdorf an.

Auf der Einladung des DFB hat Fuchs handschriftlich auch die Abfahrtszeiten seines Zuges von Betzdorf nach Aachen und den Fahrkartenpreis notiert. "Heute erhält ein Bundesligaschiedsrichter pro Einsatz 3800 Euro plus Fixkosten von jährlich 60 000 Euro. Wir haben 20 Mark pro angefangenem Tag, die Hotelübernachtung und eine Bahnfahrt erster Klasse bekommen. Wenn's nach Berlin oder München ging, durfte es auch mal ein Flug sein."

Tischmanieren für Schiedsrichter

Heute, im Millionengeschäft Fußball, gehe es auch vielen Schiedsrichtern zuvorderst ums Geld, beklagt Fuchs. "Für uns damals war es eine Ehre, zu den 35 zu gehören, die in der Bundesliga auflaufen durften." Einmal, so erinnert sich Fuchs, habe ein etablierter Kollege beim DFB wegen einer Honorarerhöhung vorgesprochen. Die Antwort gab Carl Koppehehl, Funktionär und graue Eminenz mit Stock: "Ich weiß nicht, was Sie wollen. Sie dürfen in den besten Hotels am Platze wohnen. Da lernt man doch, wie man richtig mit Messer und Gabel isst." Eine kleine Erhöhung gab's am Ende dennoch: Fortan zahlte der DFB 24 Mark - wohlgemerkt zu einer Zeit, in der Günter Netzer bereits mit Vorliebe Ferrari fuhr.

Netzers großem Spielmacher-Rivalen Wolfgang Overath, als Heißsporn auf dem Fußballfeld bekannt, zeigte Fuchs einmal die Gelbe Karte. Die Partie 1. FC Köln gegen Hamburger SV 1973 ist dem Herdorfer aber aus zwei anderen Gründen in Erinnerung geblieben, der erste: "Weil der Hamburger Torwart das Spiel verzögerte, habe zwei Minuten nachspielen lassen.

In dieser Zeit machten die Kölner den Siegtreffer zum 2:1. Zu meinem Assistenten habe ich hinterher gesagt: ‚Da könnte man als Spieler doch heulen, wenn man in der Nachspielzeit noch verliert.’ Irgendjemand muss das aufgeschnappt haben, die Bild-Zeitung machte jedenfalls daraus: ‚Schiri heulte in der Kabine’. Daraufhin musste ich beim DFB eine Stellungnahme abgeben." Der zweite Grund: Während der Begegnung wurden Szenen für einen "Tatort" gedreht - und Fuchs auf diese Weise unfreiwillig zum Krimidarsteller.

Wie ein Kommissar, so musste Fuchs als Referee auch manch heiklen Fall auf dem Platz lösen - mit viel Fingerspitzengefühl und seiner humorvollen, zugleich aber bestimmten Art ist ihm dies zumeist auch gelungen. Nur zweimal in seinen gut 1500 Spielen wurde es für ihn brenzlig: In Elkenroth wollten sie ihm mal nach einem 3:4 gegen Nauroth ans Leder. "Danach habe ich ein Jahr lang einen Bogen um den Ort gemacht." In Mayen ging der gelernte Schirmmacher k.o., nachdem ein Unbekannter ihm mit dem Regenschirm einen Schlag auf den Kopf versetzt hatte. "Meine Frau und die Kinder waren mitgekommen und mussten das mit ansehen. 14 Tage lag ich mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus." Immerhin konnte der Täter ermittelt werden. Für Fuchs war der Vorfall aber kein Grund, übers Aufhören nachzudenken: "Das hat mir nichts ausgemacht."

Der Tag, der alles verändert

Letztlich ist es ein unverschuldeter Unfall, der die Karriere des Top-Schiedsrichters beendet. 21. August 1973: Fuchs, damals im Nebenberuf Zusteller bei der Bundespost, weilt bei einem Lehrgang in Dortmund. Am nächsten Tag soll er die Partie Bayern gegen Rot-Weiß Essen pfeifen. Er kommt gerade vom Bahnhof, wo er sich eine Fahrkarte für den Nachtzug nach München gekauft hat, da passiert es - er wird von einem Auto angefahren und schwer verletzt. Diagnose: ein schwerer Knieschaden. Noch im Krankenwagen bittet er die Polizei, den DFB zu informieren. "Ich habe gesagt, dass ich Bundesligaschiri bin und am nächsten Tag die Bayern pfeifen soll. Aber der Beamte glaubte an einen Scherz, fragte, ob ich getrunken hätte." Am Krankenbett macht ihm sein bekannter Kollege Walter Eschweiler Mut: "Norbert, mach weiter. Du schaffst das schon." Mühsam quält sich Fuchs in den folgenden fünf Monaten zurück. Im Januar 1974 steht er in der Partie Hamburger SV gegen Wuppertaler SV wieder als Linienrichter auf dem Platz. Der Schiedsrichterbeobachter gibt hinterher zu Protokoll: "Der Einmarsch ins Stadion glich einem Trauermarsch". "Ich wollte die Schmerzen überspielen, schließlich wollte ich in der Bundesliga bleiben", erzählt Fuchs, "aber es ging einfach nicht mehr."

Eine offizielle Verabschiedung hat Fuchs nie bekommen. "Vonseiten des DFB hat man mir damals gesagt, man könne mich nicht verabschieden, weil ich die 150 Mark nicht zurückgezahlt hätte, die man als Schiedsrichter früher vor dem allerersten Bundesligaeinsatz als Vorauszahlung für Auslagen erhielt." Fuchs blieb ebenso konsequent wie auf dem Spielfeld: "Das ist der reichste Verband der Welt - er hätte das Geld von mir nicht gekriegt, nicht und wenn."

Heute erinnert nicht mehr viel in der Herdorfer Wohnung an die große Fußballära. Im Schrank bewahrt Fuchs Andenken von damals auf - Anstecknadeln, Manschettenknöpfe, ein Aschenbecher vom HSV, Zinnbecher vom VfL Bochum, Bierkrüge von den Bayern. "Die viel zitierte goldene Uhr habe ich aber nie gekriegt", lacht er. Die Bundesliga verfolgt er natürlich nach wie vor, auch wenn er, wie er sagt, als echter Unparteiischer keine besondere Sympathien für einen bestimmten Verein hegt. Dass aus dem Fußball längst ein Millionengeschäft geworden ist, behagt ihm nicht: "Die Spieler verdienen so viel in einem Jahr wie ein normaler Mensch im ganzen Leben nicht. Wenn ich die Ablösesummen und Gehälter höre, frage ich mich: Ist ein Mensch allein so viel wert?" Und noch etwas stört ihn: das Gebaren mancher Stars auf dem Platz, Rudelbildungen und abschätzige Gesten. "Wenn ich sehe, wie manche nach Entscheidungen des Schiris abwinken - das hätte es bei mir nicht gegeben. Die Kollegen heute lassen sich einfach viel zu viel gefallen."

Ein Plädoyer für die Torkamera

Begrüßen würde Fuchs hingegen technische Hilfen für Schiedsrichter wie sie seit einiger Zeit diskutiert werden, etwa Torkameras oder ein Chip im Ball, der anzeigt, ob das Spielgerät nun hinter der Linie war oder nicht. "Der Fußball ist schließlich schneller geworden", sagt er und fügt hinzu: "Aber auch langweiliger. Es gibt heute leider oft zu viel Hin- und Hergeschiebe. Früher galt das Prinzip, Tore zu erzielen, heute eher Tore zu verhindern." Schon deshalb sei das Niveau damals nicht schlechter gewesen, findet er: "Overath, Netzer, Beckenbauer - das waren schon perfekte Techniker. Auch diese Jungs konnten Fußball spielen."

Kürzlich bekam Norbert Fuchs Besuch von Hermann Schröder, einst Linienrichter in seinem Gespann - ein fröhliches Wiedersehen nach 40 Jahren. Natürlich wurde über die alten Zeiten geplaudert. Aber der Fußball, das merkt man, ist bei Norbert Fuchs in den Hintergrund gerückt. Auf Sportplätzen sieht man ihn heute kaum noch. Die Kinder, die Enkel, der Garten hinterm Haus im Herdorfer Glockenfeld - das alles ist ihm heute viel, viel wichtiger. Seine Frau Valeria, so sie ihm von oben aus dem Himmel zusieht, wird dies ganz sicher freuen.


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