Ganz einfach: Es war Liebe auf den ersten Blick. „Ich habe vor vielen Jahren einen Poitou-Esel gesehen und gedacht ‚Wow, so einen will ich haben!'", erzählt Volker Bosch (56). Irgendwann stimmten die äußeren Bedingungen – und aus „so einem" wurde die „Asinerie an der Wied" in Berzhausen mit inzwischen sechs Tieren. Man kann Volker Bosch verstehen. Sie sind wirklich herzallerliebst mit ihren Zotteln und ewig langen Ohren. Sich selbst einen zuzulegen, sollte man sich aber gut überlegen: Die Esel werden bis zu 1,50 Meter groß und sind mit 400 bis 450 Kilo die schwersten der Welt. Die Bedingungen, die für die Poitou-Esel in Berzhausen herrschen, kann nicht jeder bieten. Stall, Weiden mit Unterständen, Trainingsplatz, Futterlager und mehr: alles neu erbaut und alles vom Feinsten. Auch wichtig: Die Nachbarn ertragen klaglos das zwar seltene, aber um so ohrenzerreißendere Geschrei. Zu den „äußeren Bedingungen", die für Optikermeister Bosch plötzlich stimmten, um sich seinen Wunsch früherer Zeiten zu erfüllen, gehört auch das Mittun von Lebensgefährtin Sabine Bormann (47). Dass sie ebenfalls ihr Herz für die Poitous entdeckt hat, machte es überhaupt erst möglich, ihnen auf die Hufe zu helfen. „Sie war es, die als Pferdefreundin viel mehr wusste als ich. Ich bin eher ahnungslos hineingestolpert", lächelt Bosch. Bormann ist heute mit – mindestens – derselben Begeisterung bei der Sache wie ihr Partner und von der Pferde- zur Eselexpertin geworden. Was ein durchaus bedeutender Unterschied ist, wie sie sagt: „Der Charakter ist völlig anders, auch im Körperbau gibt es markante Unterschiede." Während ein Pferd, das Angst hat, einfach rennt, bleibt das Langohr stocksteif gehen. Antreiben, schreien, schimpfen – nichts hilft, wenn der Esel der Auffassung ist, dass das Stück Boden vor seinen Hufen verdächtig aussieht. Das Verhalten hat ihm den Ruf der Dummheit und Sturheit eingebracht – und letztlich auch Prügel über Jahrhunderte. Sabine Bormann wendet völlig andere Methoden an: „Ganz ruhig bleiben, sich klein machen, gut zureden." Die Eigenheiten dieser seltenen Huftiere – vom Poitou-Esel gab es in den 70er-Jahren nur noch 44 Exemplare – muss „sein" Mensch akzeptieren lernen. „Sie sind gemütliche, gutherzige Tiere. Aber sie fordern Gelassenheit", so die Halterin. Wer gestresst von der Arbeit kommt und „mal schnell" die Esel versorgen will, hat Pech. „,Mal schnell' ist nicht", hat Sabine Bormann erfahren. „Aber dadurch kommt man auch selbst runter, die Tiere strahlen enorme Ruhe aus." Das sehen manche Dienstleister anders. Bevor Sabine Bormann einen Hufschmied gefunden hat, kassierte sie drei Absagen („Esel? Nie im Leben!"), und auch nicht jeder Tierarzt nimmt sich die Zeit, vor der Behandlung ein Gentlemen's Agreement mit einem Esel abzuschließen, damit der keine Zicken macht. Davon abgesehen, sind Kenntnisse über die Anatomie des Esels nicht weit verbreitet. Sympathisch: Die Poitous haben ein großes Bedürfnis nach körperlicher Nähe. Wenn sie zielstrebig näherkommen, ist man gut beraten, seine Füße in Sicherheit zu bringen: Sie schmiegen sich regelrecht an, wollen gekrault und gedrückt werden, da trifft es aus Versehen auch schon mal die menschlichen Zehen. Wegen ihrer Größe kann man sie aber auch ganz normal reiten oder vor die Kutsche spannen, was in Frankreich, der Schweiz und Deutschland immer mehr Leute tun: Der Bestand der alten Eselrasse hat sich erholt, weil noch mehr Menschen wie Bormann und Bosch sich in sie verliebt haben. Um die 1000 soll es heute geben – viel mehr als vor 40 Jahren, aber lange nicht genug, um das Überleben zu sichern. Aus diesem Grund halten Sabine Bormann und Volker Bosch nicht nur Esel, sie ziehen auch zum Verkauf. Debüt ist das erste Fohlen der „Asinerie an der Wied", ein weiteres wird in den nächsten zwei Wochen erwartet. Alle Esel sind gekört und ins Zuchtbuch eingetragen. Seit ein paar Jahren wird jeder Decksprung einer europäischen Zentrale gemeldet, die darüber wacht, dass es nicht zu krasser Inzucht kommt. Es hat also alles seine Ordnung. Nun fragt sich, wie es die jungen Esel, aber auch ihre Besitzer verkraften werden, wenn die Fohlen in neue Hände kommen. Denn eins steht fest: Auch auf den zweiten Blick ist es bei den Berzhausenern bei der Liebe zum Poitou-Esel geblieben. Silvia Patt
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